Seidenfinger – Die Polys-Chroniken II – Milian Ventus

10.02.2024

Mit »Seidenfinger – Die Polys-Chroniken II« ist Milian Ventus ein vielschichtiger Noir-Fantasy-Folgeband gelungen, der emotional mitreißt, überrascht und die Lesenden so sehr in Spannung versetzt, dass diese das Buch am liebsten gar nicht mehr aus den Händen legen würden.

 

Klappentext:

Letztlich da, schließlich Gast,
Unabdingbar sein Besuch,
Schwere Glieder, Haut verblasst,
Befreit vom lebend' Fluch.
– Eid des Gesegneten Ewigschlafes

BB und die einstige Regentin Dianetta sind spurlos verschwunden.

Die Verbrechergilde der Seidenfinger hat die Macht über Polys erlangt. Sie besitzen nicht nur den todbringenden Strahlenspeier, sondern ihr eigener Meister ist zum Regenten ernannt worden – aber was ist sein Plan für die Stadt?

Einige abtrünnige Seidenfinger nehmen die Sache lieber in die eigene Hand. Doch ihr Vorhaben könnte nicht nur die Gilde ins Verderben stürzen, sondern die gesamte Capitale.


Titel: Seidenfinger – Die Polys-Chroniken II
Autor: Milian Ventus
Seitenanzahl: 361
Genre: Social Noir Fantasy
Verlag: TBR Schreibkollektiv
Preis: 14,99€ (Taschenbuch); 4,99€ (eBook)
ISBN-13: 9783757991883


Leseeindrücke:
"Seidenfinger" knüpft an die Handlung des Vorgängerbandes "Gelbauge" an und entführt die Lesenden erneut in die raue Welt von Polys, wobei das authentische Feeling des ersten Buches beibehalten wird. Milian Ventus schickt die Lesenden auf eine emotionale Reise voller verschiedenster Facetten und lässt dank schneller Szenen- und Perspektivenwechsel sowie einzigartiger Spannungsbögen in jeder Szene nie Langeweile aufkommen. Das Worldbuilding, die Settingsbeschreibungen und der Lesefluss sind von herausragender Qualität, wobei der Autor mit wenigen Worten fesselnde Atmosphären schafft und die Leser regelrecht in den Bann zieht. Die differenzierten Erzählstimmen verleihen den Charakteren eine tiefere Dimension (aus meiner Sicht ist dieser Aspekt sogar noch beeindruckender umgesetzt als im ersten Band).

Die Polys-Chroniken brillieren mit einer Fülle von Charakteren. Während sich dieser Umstand in "Gelbauge" zuweilen anstrengend oder sogar verwirrend darstellte, hatte ich in "Seidenfinger" kein Problem damit. Schließlich kannte man viele der Figuren bereits aus Band 1, hat sie ins Herz geschlossen und auch ein Gespür für die Welt und ihre Eigenheiten entwickelt, was das Kennenlernen neuer Charaktere sehr vereinfacht hat. Glossar und Figurenübersicht stehen bei Unsicherheiten zur Verfügung; dennoch empfiehlt es sich, die Bücher zeitnah hintereinander zu lesen, um stets im Geschehen zu bleiben. Alle Hauptfiguren sind lebendig, facettenreich und detailverliebt gestaltet – sie wirken wie reale Personen und nicht wie fiktive Wesen. Mit Schwächen, Stärken und moralischen Grauzonen sind sie alles andere als perfekt und genau das macht sie nahbar und realistisch.

Meine Favoriten unter den Figuren haben sich etwas verändert – vermutlich, weil sich bei einigen unschönere Seiten zeigten oder sie im zweiten Buch weniger im Fokus standen. Ryn bleibt nach wie vor auf meiner Liste, Florius ist hinzugekommen, und auch Quinn hat sich mittlerweile einen festen Platz in meinem Herzen erobert. Das, was ich mir bei "Gelbauge" gewünscht hatte, wurde in "Seidenfinger" erfüllt: Es war faszinierend, mehr über Quinns Vergangenheit zu erfahren und einen tieferen Einblick in seine Denkweise, Motive und Moral zu bekommen. Ich nehme an, dass die Bindung zwischen Quinn und Ryn eine entscheidende Rolle im dritten Band spielen wird oder es zumindest könnte. Irgendwie habe ich im Gefühl, dass Ryn am Ende der Geschichte sterben könnte – sollte sich diese Befürchtung bewahrheiten, werde ich den Autor verfluchen und ewig hassen (angemessenerweise).

Eine weitere Figur, zu der ich (überraschenderweise) auf einmal viel mehr Zugang finden konnte, ist Andros Ramirez. Seine gesamte Attitüde und Aufmachung finde ich aus psychologischer Perspektive hochinteressant und außerdem verleihe ich ihm den Award für den besten gesprochenen Satz im Buch: "Im Stehen bin ich größer." Die Dynamik zwischen BB und Ryn mochte ich in Band 1 schon gerne – hier haben mich im Kontext von "Seidenfinger" vor allem kleinere Details wie beispielsweise Ryns Wahrnehmung bzgl. BBs Entwicklung überzeugt. Ich bin gespannt, wie es mit den beiden in Band 3 weitergeht (Miscommunication ist am Start, yay). Sowohl Frisca als auch Sander habe ich sehr vermisst und ich freue mich darauf, im nächsten Buch endlich wieder mehr über sie lesen zu können. Shoutout auch an Borys, den fahrenden Händler, der überhaupt keine wichtige Rolle im Buch spielt, trotzdem aber sehr sympathisch wirkte.

In "Seidenfinger" ist keine Figur sicher – immer weider überrascht ein unerwarteter Tod, der tief im Herzen berührt. Milian Ventus beherrscht die Kunst, Prisen von Grausamkeit geschickt zu streuen und die Handlung dadurch in eine unerwartete Richtung zu treiben. Seine Bücher sind nicht für Leser, die es gerne blumig-schön mögen und auf Happy Ends stehen.

In Bezug auf Handlung und zugrundeliegende thematische Leitmotive vereint "Seidenfinger" eine Vielzahl von Elementen: Liebe in all ihren Formen (Familie, Freundschaft, Partnerschaft), Gewalt (Schlachten, Morde, Folter – "Seidenfinger" hat grausame, blutige, brutale Elemente), Moral und Politik (Intrigen, Zweckgemeinschaften und Splittergruppen; Stichwort: Seit wann wenden sich Seidenfinger gegen Seidenfinger und sind diese von ihrer ursprünglichen Bestimmung abgewichen?).In "Seidenfinger" liegt der Schwerpunkt verstärkt auf diesen zuletzt genannten "politischen/gesellschaftlichen" Themen, wie auch der Klappentext anklingen lässt. Persönlich entspricht das nicht so sehr meinem Geschmack, ist jedoch für das Genre und die Handlung unerlässlich und damit keine Kritik. Dennoch hätte ich mir zuweilen eine Verschiebung des Fokus gewünscht, mit einer noch stärkeren Betonung der Figuren, ihrer Interaktionen, Beziehungen und Hintergrundgeschichten. "Seifenfinger" neigt eher dazu, von der Handlung als von den Charakteren angetrieben zu werden. Band 1 fand ich von der emotionalen Perspektive her stärker als Band 2, das ist aber ein Vergleich auf hohem Niveau und soll in keiner Weise aussagen, dass "Seidenfinger" auf dieser Ebene nicht überzeugt!

Der Neve-Theo-Sideplot, wie ich ihn mal nennen möchte, hat zwar szenisch seinen Reiz, war für mich aber irgendwie schwer greifbar. Bezüglich der Entstehungsgeschichte von Polys und den Seidenfingern war der Sideplot gut geschrieben und lieferte interessante Hintergrundinformationen. Doch um ehrlich zu sein: Ich hätte ihn nicht gebraucht. Persönlich fand ich ihn nicht so fesselnd, da meine größere Aufmerksamkeit den aktuellen Handlungssträngen mit den Figuren galt, zu denen ich bereits eine stärkere Verbindung aufgebaut hatte.

Besonders ansprechend fand ich dagegen alles, was mit dem Sündermaul, den Strigidae und den neu enthüllten Auswirkungen der Strahlenspeierverwendung auf die Nutzer zu tun hatte. In all diesen Fällen sind noch einige Fragen offen, auf deren Beantwortung ich mich in Band 3 freue. Zu meinen Höhepunkten in "Seidenfinger" gehören Janus' innere Konflikte hinsichtlich Einsamkeit, Verlust und Schuld, die gekonnte Darstellung von Valbellas Stummheit sowie die im Buch allzeit präsente casual queerness und grundsätzliche Diversität auf allen Ebenen. Den Ansatz, Dialekte auszuschreiben, finde ich ebenfalls cool, da er die Figuren greifbarer und differenzierter macht und natürlich zum Worldbuilding beiträgt. Allerdings bin ich beim Lesen auch häufig über Worte gestolpert oder musste Sätze doppelt lesen, was aus dem Moment reißt – hier handelt es sich also um ein zweischneidiges Schwert.

Ein großes Lob verdient im Übrigen auch das fantastische Cover von Juliana Fabula, das ich sehr ästhetisch und ansprechend finde!


Fazit:
»Seidenfinger – Die Polys-Chroniken II« von Milian Ventus, erschienen beim TBR-Schreibkollektiv, ist ein gelungener zweiter Band der Ploys-Chroniken über zwischenmenschliche Beziehungen, Moral, Gewalt und Zerwürfnisse. Ich vergebe 4,5/5☆ und bedanke mich herzlichst für das Rezensionsexemplar!

Jace Moran / dunkelwelten / Alle Rechte vorbehalten
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