Gelbauge: Die Polys-Chroniken I - Milian Ventus

04.01.2024

Mit »Gelbauge« ist Milian Ventus ein beeindruckender Noir-Fantasy-Reihenauftakt gelungen, der durch einen komplexen Weltenbau, vielschichtige Charaktere, starke Emotionen und nervenaufreibende Twists Lust auf mehr macht.


Klappentext: BB, ein Steinformer aus dem Felsenmeer, will mit seinen Socii Janus und Modesto in der Hauptstadt des Ödlandes sein Glück finden. In Polys angekommen, drängt Janus ihn, Mitglied der Seidenfinger werden, einer der einflussreichsten – und gefährlichsten – Gilden der Stadt.
Janus folgt damit einem Plan, der vor 22 Wintern seinen Anfang nahm ...
Die junge Regentin Dianetta will dem Krieg der Regierung gegen die kriminellen Seidenfinger endlich ein Ende setzen. Mit dem Strahlenspeier, einer übermächtigen und unwirklichen Waffe, will sie die Gilde in ihre Schranken weisen.
Niemand ahnt, dass sie damit eine Felslawine ins Rollen bringt, die alles unter sich zu begraben droht ...


Titel: Gelbauge: Die Polys-Chroniken I
Autor: Milian Ventus
Seitenanzahl: 338
Genre: Noir Fantasy
Verlag: TBR-Schreibkollektiv
Preis: 14,99€ (Taschenbuch); 4,99€ (eBook)
ISBN-13: 978-3757977559


Lob
Milian Ventus' Debütroman ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Auf gerade mal 338 Seiten finden sich 112 Szenen, aufgeteilt in 14 Kapiteln, erzählt aus 21 verschiedenen Sichten, wobei insgesamt 34 Charaktere aktiv zur Geschichte beitragen. Das sagt denke ich schon alles über die Komplexität des Buches, welches mit überraschenden Twists, Geheimnissen und Intrigen, vielschichtigen Figuren mit fragwürdiger Moral, starken Emotionen, casual queerness und vor allem einem unfassbar durchdachten Worldbuilding überzeugt. Ich will gar nicht wissen, wie lange das Plotten und auch das finale Arrangieren der Szenenabfolge gedauert haben muss, die Handlung ist nämlich absolut verschachtelt. Szenen aus verschiedenen Sichtweisen und unterschiedliche Subplots wechseln sich ab, Handlungsstränge einzelner Figurenkonstellationen teilen oder verknüpfen sich und fügen sich zum Ende hin wie Puzzleteile zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Trotz der vielen Figuren ist es stets möglich, den Überblick zu behalten und im Bilde zu sein, was gerade wo und warum geschieht. Dadurch, dass am Ende einige Fragen offenbleiben, ist die Spannung fast unerträglich und man möchte am liebsten sofort weiterlesen. Und hey, das Cover von Juliana Fabula ist auch super hübsch!

Das Worldbuilding hat mir gut gefallen. Durchdacht ausgearbeitet, schöne visuelle Beschreibungen, originelle Ideen, ganz viele kleine Details, die es realistisch machen. Es hat alles zusammengepasst und auch der Kontrasteffekt zwischen Polys und Steinhaven ist auf jeden Fall gelungen.
Meine Lieblingsfiguren sind BB, Janus, Modesto, Frisca, Ryn, Valbella und Sander. Ihnen habe ich mich am nächsten gefühlt; vielleicht auch einfach aus dem Grund, weil ich ihre Handlungsstränge am interessantesten fand, schneller eine Beziehung zu ihnen aufbauen konnte, und dadurch am liebsten über sie gelesen habe. Insgesamt hatten aber alle Charaktere eine spannende Seite an sich, wirkten lebendig und nahbar und waren immer klar voneinander abgrenzbar, was bei einem so großen Cast gar nicht mal so einfach ist. In "Gelbauge" haben wir es ausschließlich mit runden Figuren zu tun, die alle ihre Stärken, Schwächen und Eigenheiten mit sich bringt: Diesbezügliches Highlight sind für mich auf alle Fälle die individuellen Sprechweisen jeder Figur. Da merkt man einfach, dass der Autor sich zu allen Charakteren Gedanken gemacht hat. Es gibt auch keine Figur, die unnötig ist, alle sind in irgendeiner Form für das Buch relevant. Besonders gut gefallen hat mir auch, dass eigentlich alle Charaktere sehr gekonnt und ungezwungen eingeführt wurden. Bei dieser Anzahl hatte ich das tatsächlich nicht erwartet und war daher umso positiver überrascht.
Sprachlich und stilistisch liefert Milian Ventus mit "Gelbauge" ein Wahnsinnswerk ab. Die Wortwahl ist sehr besonders, passend zum Genre und unterstützend zum Worldbuilding. Beim Lesen hatte ich zuweilen Game-of-Thrones-Vibes, noch stärker hat mich die Geschichte aber Arcane erinnert: Der umfassende Weltenbau, die politischen Intrigen, der Konflikt über den Einsatz einer gefährlichen Waffe, die unterschiedlichen Gruppierungen – wenn euch eine der genannten Serien gefallen hat, kann ich euch "Gelbauge" definitiv ans Herz legen.

Kommen wir zu meinen Lieblingsszenen und -handlungssträngen:
• Alles rund um Modestos Beziehung zu Frisca, die inneren Konflikte der beiden und insbesondere auch den Showdown in Steinhaven fand ich absolut fantastisch! Auch dass sich der Konflikt von Anfang an konsequent durch das gesamte Buch gezogen hat, fand ich super.
• BBs "Sohn-Vater-Bindung" zu Janus gemixed mit den Twists und Offenbarungen rund um dessen und ihre gemeinsame Vergangenheit, haben mir sehr gefallen. Dieses Feeling von "Eigentlich kenne ich dich schon ewig, aber gerade habe ich das Gefühl, dich gar nicht zu kennen" hat emotional sehr gehitted.
• Chapeau bezüglich der Gewaltszenen: Egal ob Folter, Hinrichtung oder Mord – alles sehr sehr gut geschrieben, bildgewaltig und voller Emotionen. Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle selbstverständlich jegliche Szenen, in denen der Strahlenspeier zum Einsatz kommt: Was für eine geniale Waffenidee, super umgesetzt.
• Bei der gesamten Feuertaufe-Mission, besonders bei der Szene im Kinderzimmer habe ich total mitgefiebert, stilistisch ist auch die Ausgestaltung dessen, was BB im Zuge dessen passiert, super gelungen.
• Die Titelgebung ist einfach genial. Anfangs denkt man, schon relativ früh die Bedeutung hinter dem Titel zu kennen, im späteren Verlauf nimmt das Ganze aber noch einen gewaltigen Turn. Das war ein echt cooler Moment.
• Bisschen random, aber Franks Aussprachschwierigkeiten waren sehr lustig.
• Die neue "Teamkonstellation", die sich am Ende der Geschichte andeutet, ist der absolute Hammer! I'm excited ahh
• Die Twists am Ende waren mies. Im Sinne von gut. Aber mies. Ich glaube, mein Mund stand sogar kurz offen. Und in meiner Notizdatei bin ich auch kurz ausgerastet. Milian: Danke für nichts.


Kritik (Reminder: Wie immer auf hohem Niveau und basierend auf persönlichen Eindrücken, die von Leser zu Leser variieren können :))

Die Komplexität von "Gelbauge" ist Fluch und Segen zugleich. Tatsächlich hatte ich ziemliche Schwierigkeiten, in die Geschichte einzusteigen. Zwar war es kein Problem für mich, die Figuren und Settings voneinander abzugrenzen und im Bilde zu bleiben, aber es war einfach ein bisschen sehr viel auf einmal; zu viele Informationen, an die ich mich erst gewöhnen musste. Noch dazu kam, dass der Start auf mich relativ seicht wirkte, die Handlung kam erst allmählich ins Rollen, wobei mir die Spannungskomponente gefehlt hat. In Kombination mit der Überforderung wegen der vielen Informationen und Figuren fand ich den Anfang daher eher anstrengend zu lesen.
Meinen Leseeindrücken nach ist "Gelbauge" ziemlich dialoglastig, für meine Geschmäcke sogar etwas zu sehr. Ich persönlich bin ein Fan davon, Figuren auch mal Zeit zum Atmen zu geben, um ihre Beziehung zu sich selbst, die eigenen Konflikte und Gedanken und die Bindung zu anderen Personen auch unabhängig von Gesprochenem besser wirken zu lassen. An vielen Stellen ist das Milian Ventus auch gelungen: Als Positivbeispiel diesbezüglich würde ich den gesamten Modesto/Frisca-Subplot nennen. Diese Tiefe hinsichtlich der Ausgestaltung der Innenwelt hätte ich mir bei manch anderen Charakteren ebenfalls gewünscht.
Zum Thema Infodumping: Für eine solch komplexe Geschichte wurde es gut vermieden, kam aber trotzdem ab und an vor und wirkte überladen/erzwungen, beispielsweise in der Szene, in der Ryn BB Genaueres über die Seidenfinger erzählt.

Zum Abschluss noch ein paar kleinere Aspekte, die mich beim Lesen gestört haben:
• Einige Figuren sind für mich nicht greifbar gewesen (bspw. Quinn oder Xantha). Bei einer so aufwendigen Geschichte, für die noch mehrere Folgebände geplant ist, muss man aber natürlich innerhalb des Cast Schwerpunkte setzen.
• Die erste Kussszene zwischen dem Männerpaar (keine Namen wegen Spoilergefahr) fand ich leider absolut random und in dem Moment sehr unpassend. Man hat zwar schon bei der ersten Zusammenkunft der beiden Figuren gemerkt, dass sich da was anbahnen könnte, aber in der Szene konnte ich mich da gar nicht reinfühlen und fand es eher weird. Schade, weil alles andere zu den beiden mir sehr gefallen hat.
• Auch das 5 Tage lange Einsperren in Steinhaven (wer das Buch gelesen hat, weiß, was gemeint ist) kam mir beim Lesen unrealistisch vor. 5 Tage ist echt eine sehr lange Zeit, einen Menschen in einem stockdunklen und so kleinen Raum einzusperren, dass dieser darin nicht mal liegen kann, egal, wie krass groß der innere Konflikt ist. Außerdem, wohnen die beiden so weit abseits, dass niemand auf z.B. das laute Klopfen der eingesperrten Person aufmerksam geworden ist?
• BB hat eine ganz besondere Wahrnehmung; heißt, seine Sinne sind deutlich besser ausgeprägt als bei anderen Menschen. Das wird im Laufe der Geschichte auch immer wieder adressiert bzw. es ist für einige Szenen auch wichtig. In anderen Szenen merkt man da meiner Einschätzung nach aber sehr wenig von. Um dem Leser BBs Fähigkeiten klarer und glaubwürdiger vor Augen zu führen, hätte ich die Szenen aus seiner Sicht stilistisch bspw. mit deutlich mehr Sinneswahrnehmungen ausgestattet als Szenen aus der Sicht anderer Figuren.


Fazit: »Gelbauge« von Milian Ventus, erschienen über das TBR-Schreibkollektiv, ist eine vielschichtige und originelle Noir-Fantasy-Geschichte über Macht, Intrigen, Freundschaft, Liebe, und alles, was sonst so zum Menschsein dazugehört. Ich vergebe 4/5☆ und bedanke mich herzlichst für das Rezensionsexemplar!

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